KALEVALA

Hintergrund und Inhalt der alten Kalevaladichtung

Wie sah die alte Volksdichtung aus, die Lönnrot bei seinen Reisen aufzeichnete? Wovon erzählen die Lieder, wann sind sie entstanden, wie lange haben sie gelebt?

Man hat vermutet, daß es in der Kulturform der Völker, die in der Nähe des Finnischen Meerbusens lebten - es waren die sog. Urfinnen - vor ungefähr 2500-3000 Jahren zu einem Umbruch kam. Als dessen Ergebnis entstand u. a. eine eigenständige Gesangsform, deren charakteristische Merkmale Alliteration und Parallelismus sowie das Fehlen von Strophen sind. Das vierhebige Versmaß dieser Gesänge wurde in Finnland später als Kalevala-Versmaß bezeichnet. Beim Singen wiesen die Verse meist einen Rhythmus von vier oder fünf Takten auf; die Melodien bewegten sich in einer Skala von fünf Tönen.

Teppana Jänis. -- Kalevalaseura 1916

Bei der alten Volksdichtung handelt es sich nicht um eine einheitliche, in einer bestimmten Epoche entstandene Dichtung; sie weist vielmehr Schichten unterschiedlichen Alters auf. Die ältesten Motive sind in den Mythenliedern enthalten, die von der fernen Urzeit und den Schöpfungswerken, von der Entstehung der Welt und der menschlichen Kultur berichten.

Im Mittelpunkt der epischen Lieder steht häufig ein mächtiger Sänger, Schamane oder Seher, der geistige Führer seines Stammes, der Reisen in das Totenreich unternimmt, um sein Wissen zu mehren. Die Helden der Lieder erleben auch Abenteuer in einem Land jenseits des Meeres; im Kalevala ziehen sie auf Brautfahrten, Raubzügen und auf der Flucht durch das Reich Pohjola, das Nordland.

Die lyrischen Lieder gaben persönlichen Gefühlen und Stimmungen Ausdruck. Die Ritenlieder waren vor allem mit Hochzeiten und Bärenfesten verbunden. Bei den Zaubersprüchen im Kalevala-Versmaß handelt es sich um Beschwörungen, die im alltäglichen Leben ihren festen Platz hatten. Die Überlieferung des Singens dieser Lieder oder Gesänge war in ganz Finnland bis zum 16. Jahrhundert lebendig.

Nach der Reformation verbot die lutherische Kirche die alten Lieder und tat die gesamte Tradition als heidnisch ab. Gleichzeitig faßten neue, aus dem Westen einströmende musikalische Formen in Finnland Fuß.

Die alte Tradition schwand allmählich, zuerst im Westen des Landes, später auch in anderen Landesteilen. Einige Lieder waren bereits im 17. Jahrhundert aufgezeichnet worden, doch der größte Teil des überlieferten Materials wurde erst im 19. Jahrhundert gesammelt.

In Weißmeerkarelien ist die Tradition der alten Volksdichtung bis in die heutige Zeit lebendig geblieben.

top