KALEVALA

Die Sammelreisen

Im April 1828 brach Lönnrot zu seiner ersten Reise auf. Anfangs fand er kaum Material, doch als er nach Ostfinnland kam, in die Provinzen Savo und Karelien, stieß er auf Menschen, die die alte Volksdichtung kannten. Den Höhepunkt der Reise bildete die Begegnung mit Juhana Kainulainen in Kesälahti. Drei Tage lang zeichnete Lönnrot von ihm Lieder und Zaubersprüche auf. Er war den ganzen Sommer unterwegs und kehrte im Herbst mit einer Fülle von Aufzeichnungen nach Laukko zurück, alles in allem rund 6000 Verse, meist Zaubersprüche und epische Lieder.

Die Sammelreisen

Lönnrot setzte sein Medizinstudium an der nach Helsinki verlegten Universität fort, beschäftigte sich jedoch weiterhin am liebsten mit der Volksdichtung. Er fand einige Gleichgesinnte, denen nicht nur das Aufzeichnen der alten Volksdichtung am Herzen lag, sondern auch die Förderung der finnischen Sprache generell.

Diese Aufgaben sollte die im Februar 1831 gegründete Finnische Literaturgesellschaft (Suomalaisen Kirjallisuuden Seura, SKS) übernehmen. Lönnrot war der erste Sekretär der Gesellschaft und über eine lange Zeit ihr aktivstes Mitglied.

Eine der ersten Maßnahmen der Gesellschaft war es, Lönnrot ein Stipendium für eine Fahrt nach Weißmeerkarelien zum Sammeln von Volksdichtung zuzuerkennen. Diese Reise mußte Lönnrot jedoch unterbrechen, da er wegen einer Choleraepidemie in Helsinki als Arzt gebraucht wurde. Ein Jahr später, im Sommer 1832, machte er sich erneut auf den Weg. Auf dieser Reise zeichnete Lönnrot 3000 Verse auf, meist Zaubersprüche und epische Lieder.

1833 kam Lönnrot als Kreisarzt in das entlegene Städtchen Kajaani. Die Trennung von seinen gleichgesinnten Freunden und Bekannten in Helsinki wurde dadurch aufgewogen, daß Kajaani näher bei Weißmeerkarelien lag. Ein neuer Publikationsplan entstand: alle Lieder sollten, abhängig von den jeweiligen Haupthelden, als getrennte Zyklen veröffentlicht werden.

Die vierte Reise im Herbst 1833 war hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des Kalevala epochemachend. In den weißmeerkarelischen Dörfern stieß Lönnrot auf eine überaus lebendige Tradition des Liedersingens.

Jung und alt sang gleichermaßen. In Vuonninen traf Lönnrot Ontrei Malinen, der ihm an zwei Tagen rund 800 Verse sang, darunter einen Sampo-Zyklus.

Der alte Zauberkundige Vaassila Kieleväinen kannte die zentralen Themen der Lieder sehr genau und erläuterte dem Sammler, wie einzelne Motive zu verbinden seien. Vaassilas Angaben waren von entscheidender Bedeutung für den Aufbau des Epos.

Lönnrot begann nun, seine Aufzeichnungen für den Druck vorzubereiten. Die auf der ersten Reise gesammelten Lieder hatte er in vier Heften namens Kantele veröffentlicht. Nach der Reise von 1833 entstanden die Manuskripte Lemminkäinen, Väinämöinen und Naimakansan virsiä (Lieder des Brautvolkes), eine Sammlung von Hochzeitsliedern.

Mit dem Ergebnis seiner Arbeit war Lönnrot jedoch noch nicht zufrieden. Sein Ziel war eine in sich geschlossene Dichtung, ein großes Epos nach dem Vorbild von Homers Ilias und Odyssee sowie der altnordischen Edda.

Im Dezember 1833 schrieb er: "Im Winter gedenke ich wieder nach dem Gouvernement Archangelsk zu fahren, und ich höre nicht eher auf zu sammeln, als bis diese Lieder eine Sammlung ergeben, die den halben Homer ausmachen."

So entstand die erste einheitliche Dichtung mit rund 5000 Versen, die später den Namen Urkalevala erhielt. Auch sie entsprach noch nicht den Zielen Lönnrots; es drängte ihn, noch einmal in die weißmeerkarelischen Dörfer zu reisen.

Auf seiner fünften Reise im April 1834 traf Lönnrot Arhippa Perttunen, den Meister unter allen Sängern, denen er in Weißmeerkarelien begegnet war.

Arhippa sang Lönnrot im Dorf Latvajärvi im Lauf von zwei Tagen rund 4000 Verse, überwiegend lange epische Lieder.

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